Kairo

Drei Männer – eine Stadt

Ähnliches Alter, verheiratet, kleine Kinder, alle drei glauben an Jesus Christus und verbinden etwas mit Kairo.

Einer ist hier geboren, umgeben von chaotischem Verkehr, stinkendem Müll. Seine Kirche ist eine Höhle in einem Berg, am Rand seiner Siedlung. Sein Glaube kann er nicht verstecken, weil groß auf seinem Handgelenk Jesus tätowiert ist – was ihm in dieser Gesellschaft immer wieder Nachteile bringt. Er lebt in einer kleinen Zweiraumwohnung. Unter ihm: alles mit dem er seine Geld verdient: gesammelter und sortierter Müll, große gepresste Würfel aus Plastikmüll, die er immer dann weiterverkauft, wenn er eine Transporterladung zusammen hat. Über ihm: einiges was er zum Überleben braucht. Ein paar Schweine, Ziegen und Hühner, im 3 Stock seines Hauses.
Dazwischen die Fragen: was ist die Perspektive für meine Kinder? Wo können sie Kindsein, zwischen dem Staub und Matsch der Straße und der Arbeit bei der sie mithelfen müssen. Werden sie jemals ein anderes Leben als ich führen können?

Einer ist 3000 km von hier am Horn von Afrika geboren. Sein Militärdienst scheint nicht zu enden, weil sein Präsident mit dem Nachbarland im Konflikt liegt. Er verdient weniger, als er zum Leben braucht, seine Familie hat nichts davon, dass er monatelang Kilometer weit weg von ihnen ist. Er darf sie sowieso nur wenige Wochen im Jahr sehen, wenn er mal Ausgang vom Grenzposten bekommt.
Geflüchtet. Seine Familie kam nicht mit, weil der Weg hierher viel zu gefährlich war. Aber nicht nur der Weg auch diese Stadt: er saß mehrere Monate im Gefängnis, nur weil er die falschen Papiere dabei hatte, Staatsbürger eines Landes für das er hier kein Visum bekommt. Christen sind hier in dieser Stadt nur eine Minderheit, aber er ist ganz alleine, niemand von seinen Glaubensbrüdern weiß von ihm und seinem Schicksal, weil er hier ein Fremder ist. Seit fast 5 Jahren ist er jetzt schon getrennt von seiner Familie.
Jetzt ist er in Europa, aber was ist seine Zukunft? Ist es möglich dass seine Familie nachkommen kann? Wie hält man Kontakt mit Menschen die nur schlechten Zugang zum Internet haben? Kann man Beziehung und Familie über so einen langen Zeitraum nur On-Off-line leben?

Einer bewegt sich frei in dieser Stadt, mit wachen Augen beobachtet er und staunt, ist irritiert und genauso fasziniert. Genießt den fremden Geschmack, riecht den Smog und entspannt in klimatisierte Räume.
Er ist gekommen um zu lernen. Gekommen in einem schnellen Flugzeug, er wurde willkommen geheißen als er die ersten Schritte auf dem Boden dieser Stadt machte. Lebt bei einem Freund von einem Freund, der jetzt auch sein Freund ist.
Wenn er durch die Stadt schlendert – kaufen muss er hier nichts, arbeiten muss er hier auch nicht, Termine muss er hier auch keine wahrnehmen – trifft er immer wieder auf Menschen, die ihm helfen in dieser fremden Kultur und Sprache sich zurechtzufinden. Die seine Unwissenheit nicht ausnützen, die ihn anlächeln, ansprechen, einfache Sätze mitteilen, weil sie gastfreundlich sind und vielleicht auch weil er so aussieht, als hätte er Papiere von einem Staat, der als reich, organisiert und vorbildlich wirkt.
Wenn er betet, hört man immer wieder die Bitte um einen schönen, guten und inspirierenden Tag, bisher hat Jesus jeden Tag diese Gebet hier erhört.
In wenigen Tagen ist er wieder bei seiner Familie, in seiner Wohnung, bei seiner Arbeit in einem anderen Land. Weg von allem Fremden mit neuen Erfahrungen im Kopf in seiner Heimat, die ihm Vieles so einfach macht. Seine Fragen sind theoretischer Art: was wäre, wenn wir als Familie hier leben würden? Wie würden die Kinder sich hier zurechtfinden? Würde der Verkehr sich immer so abenteuerlich anfühlen, oder wäre er auch mal genervt davon. Würde man sich jemals an den ständigen Smog gewöhnen? Würde es sich immer wie ein Privileg anfühlen hier leben zu können – wie es sich diese 10 Tage anfühlt?

Ist das Leben nicht unfair? Keiner hat sich sein Leben ausgesucht, sein Umfeld frei gewählt und alle leben unter demselben Himmel.
Meine Frage ist: Was können wir voneinander lernen, wie können wir einander unterstützen Ehemänner und Väter zu sein, die Liebe und Werte vorleben und weitergeben. Die dankbar und zukunftgerichtet leben. Mit dem Wissen, dass nicht alles im Hier und Jetzt erlebt, erreicht und besitzt werden muss. Oder verschließen wir die Augen voreinander aus Überlegenheit, Scham, Angst oder dem Fremdsein?

Ich habe einen Traum: Dass meine drei größer werdenden Töchter eines Tages in dieser Stadt gemeinsam mit Söhnen und Töchtern von Vätern aus Manschiyyet Nasser und aus Eritrea an einem Tisch sitzen und gemeinsam sich als Brüder und Schwestern sehen. Sich frei  über Grenzen hinweg bewegen können, gleichen Zugang zu frischer Luft, gesunder Nahrung, Bildung und medizinischer Versorgung haben und ganz offen ihren Glauben leben können. Gemeinsam beten und über ihre Erfahrungen reden.

Ich habe einen Traum: Dass alle drei Gruppen von erwachsen gewordenen Kindern irgendwann sich gegenseitig unterstützen und Mut machen, voneinander lernen und gemeinsam ihrem Glauben leben.
Dieser Traum, in dieser Stadt. Das ist meine Hoffnung.

Ich habe immer noch diesen Traum auch nach diesem Tag gestern an dem ich in einem Taxi vorbei an einem der Gefängnisse in dieser Stadt in die Garbage City (Manshiyat Naser) gefahren bin.
#herausspazieren

Michel Schneider